Ladegastorgel
in der Haardter Kirche
Die Ladegastorgel in der Haardter Kirche
Ursprünglicher Artikel von Dr. Mathias Scheer erschienen im Gemeindebrief Sommer 2016
Der Orgelbauer Friedrich Ladegast (1818-1905) aus Weissenfels an der Saale ist neben Gottfried Silbermann der berühmteste deutsche Orgelbauer. Seine Werkstatt konnte vor allem durch den sehr raschen Ausbau des deutschen Eisenbahnnetzes eine rasante Expansion vollziehen und war schnell innerhalb der deutschen Länder, aber auch weit darüber hinaus mit hervorragenden Instrumenten vertreten. Diese werden bis heute aufgrund ihres Klangs und ihrer Qualität sehr geschätzt. Seine Instrumente fand man von Moskau bis New York, bis zum Ende der 1880er Jahre verließen Ladegasts Werkstatt über 125 Orgelneubauten. Siegen gehörte wie die Stadt Weissenfels seit 1815 zu Preußen, und bereits kurz nach der Fertigstellung einer geeigneten Bahnverbindung erhielt zunächst die Nikolaikirche im Jahr 1877 eine hervorragende Orgel mit 3 Manualen und 38 Registern. Dieses Instrument wurde von der Gemeinde wie von Orgelkennern sehr gut angenommen: schon 5 Jahre später wurde für die neu erbaute Haardter Kirche ebenfalls ein Instrument bei Ladegast bestellt. Für den neuen großen Kirchenraum konzipierte Ladegast ein etwas kleineres Instrument, das mit seinen 26 Registern aber immer noch eine stattliche Größe hatte.
Der handschriftliche Brief an den damaligen Pfarrer Hermann Reuter mit Ladegasts persönlicher Unterschrift ist im Archiv der Weidenauer Kirchengemeinde noch vorhanden. Nach Weidenau belieferte Ladegast auch die Martinikirche in Siegen sowie die Kirchen in Krombach, Stift Keppel und in Müsen mit neuen Instrumenten, eine weitere Orgel erhielt das Lehrerseminar in Hilchenbach. Damit war im Siegerland eine regelrechte Orgellandschaft mit Instrumenten aus Ladegasts Hand entstanden, man wusste die Orgeln des berühmten Meisters offensichtlich sehr zu schätzen.
Nach dem zweiten Weltkrieg war von den großen Siegener Ladegastorgeln in Martini- und Nikolaikirche nichts mehr übriggeblieben, aber die Weidenauer Orgel hatte vergleichsweise wenig Schäden erlitten. Leider führten tiefgreifende Umgestaltungen in den Jahren 1946 und 1969/70 zu einem Verlust von Teilen der Originalsubstanz und damit auch des Klangbildes. Dennoch ist noch vieles an der Weidenauer Orgel original vorhanden, unter anderem fast das gesamte Pfeifenwerk des Hauptwerks und des Pedals. Es gibt aus den letzten Jahren zahlreiche Beispiele hervorragend gelungener Restaurierungen von Ladegastorgeln, u.a. der „Schwesterorgel“ unseres Instruments in Naunhof bei Leipzig, an der man hören und sehen kann, welcher Schatz auch in unserer Orgel schlummert.
Inzwischen ist das Fachwissen für eine Restaurierung dieser hochwertigen Instrumente wieder vorhanden, so dass es für die letzte überlebende Ladegastorgel in Siegen berechtige Hoffnung gibt, durch eine sachgerechte Restaurierung das Klangbild Ladegasts wieder zum Leben erweckt zu werden. Ein solches Projekt kann sicher auch mit großem überregionalem Interesse rechnen: Die genannte „kleine“ Schwester unserer Orgel beispielsweise konnte – viel aufwändiger als das in Weidenau nötig wäre - ganz ohne Mittel der Kirchengemeinde mit ca. 2000 Gemeindegliedern alleindurch Spenden restauriert werden. Für die Orgellandschaft des Siegerlandes wäre dieses Instrument dann ohne Zweifel ein Juwel.
Dr. Mathias Scheer
ergänzt Dezember 2018
Die „Schwesterorgeln“ im direkten Vergleich: die im Krieg zerstörte Ladegastorgel der Nikolaikirche und die erhaltene Ladegastorgel der Haardter Kirche
Die Bedeutung dieses herausragenden Meisters der deutschen Orgelbaukunst lässt sich am besten mit den Worten Albert Schweitzers an den damaligen Merseburger Domorganisten Hans-Günther Wauer erfassen (in einem Brief aus Lambarene von 1958): „Ich halte Friedrich Ladegast für den bedeutendsten Orgelbauer nach Silbermann, dessen Tradition er fortsetzt. Sowohl in technischer wie auch in klanglicher Hinsicht sind seine Schöpfungen in gewisser Hinsicht einzigartig. Ich selber war ergriffen von der Spielart und der Tonschönheit der Ladegast-Orgeln, die ich unter die Finger bekam und habe Organisten, die ihre Ladegast-Orgeln umbauen und modernisieren wollten zu Beginn unseres Jahrhunderts von dieser Sünde abgeraten. In Tonqualität stelle ich Ladegast-Orgeln sogar über die von Cavaillé-Coll.“
1. Ursprüngliche Disposition von 1883
Manualkoppel, Pedalkoppel (HW-Ped.) mechanische Kegelladen, mechanische Spiel- und Registertraktur,
5 feste Registerkombinationen für pp, p, mf, f, ff
Quelle: Busch, Hermann J.: "Die Orgeln des Kreises Siegen", Pape-Verlag, Berlin 1974, S. 82
Die Originaldisposition der Ladegastorgel der Nikolaikirche von1877
Manualkoppel, Pedalkoppel, Barkerhebel, 4 feste Kombinationen, mechanische Schleifladen, mechanische Spiel- und Registertraktur,
Quelle: Busch, Hermann J.: "Die Orgeln des Kreises Siegen", Pape-Verlag, Berlin 1974, S. 160
2. Aktuelle Disposition (seit 1973)
** - vollständig oder teilweise Ladegast-Pfeifen
Manualkoppel, Pedalkoppeln (HW-Ped., OW-Ped.), Superoktavkoppel (OW-Ped.)
2 frei Kombinationen, 1 freie Pedalkombination, 'Tutti'
Zungenabsteller
Kegelladen mit elektrischer Spiel- und Registertraktur
3. Dispositionsvorschlag
Kegelladen mit elektrischer Spiel- und Registertraktur
Die blau hinterlegten Register sind ganz oder teilweise neu anzufertigen (zu rekonstruieren). |
Die rot hinterlegten Zungenregister müssen ebenfalls neu gefertigt werden |
Durch den neuen elektrischen Spieltisch ergeben sich zahlreiche zusätzliche Spielhilfen (Setzer, Suboktavkoppeln etc.)
Anm: Bei der neu erstellten Disposition wurde auch die der Ladegastorgel der Nicolaikirche beachtet, hier insbesondere bei der Auswahl der Register Trompete Harmonique im Hauptwerk, der Doublette im Oberwerk (Weiterverwendung der Quintade und Rohrflöte)
sowie beim Untersatz 32' (Cello 8' ?) im Pedal.